Psychische Gefährdungsbeurteilung: Die gesetzlichen Grundlagen im Blick

von Svenja Gimbel

Nicht nur körperliche Belastungen erschweren die Arbeit

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen am Schreibtisch, haben diverse Deadlines einzuhalten und das Telefon klingelt alle paar Minuten. Gleichzeitig erhalten Sie von Outlook Benachrichtigungen zu neu eingetroffenen E-Mails und in Ihrem Büro unterhalten sich Mitarbeiter. Mit Unbehagen spüren Sie bereits leichte Kopfschmerzen und Ihr Herz schlägt schneller. In diesen Momenten der Anspannung und Unruhe erleben Sie Stress. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr das Arbeitsumfeld und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen das psychische Wohlbefinden beeinflussen, aber eben auch die die Omnipräsenz psychischer Belastungen für Mitarbeiter: Keine Tätigkeit kommt ohne psychische Belastungen aus. Ist der Stress-Level jedoch konstant hoch und findet kein Ventil, drohen verheerende psychische Folgen bei den Betroffenen.  Deshalb ist die Beurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz fester Bestandteil des Arbeitsschutzes. Im folgenden finden Sie alles, was sie über die gesetzlichen Grundlagen der psychischen Gefährdungsbeurteilung wissen sollten.

Die Pflichten der psychischen Gefährdungsbeurteilung im Überblick

Die rechtliche Grundlage hierfür bildet das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).  Im Gesetzestext findet man die Forderung nach „menschengerechten Gestaltung der Arbeit“, wobei Arbeit beeinträchtigungsfrei und persönlichkeitsförderlich zu gestalten ist. Im betrieblichen Alltag liegt der Fokus der Gefährdungsbeurteilung eher auf der in § 5 ArbSchG genannten Normierung (Gefährdungen durch Arbeitsgeräte, physikalische, chemische oder biologische Einwirkungen etc.) Dem enormen Anstieg psychisch bedingter Arbeitsausfälle begegnet der Gesetzgeber seit dem 01.01.2014 mit der Novellierung des ArbSchG: Hier ergänzt er im §5 Abs. 3 den zu schützenden Bereich um die „psychischen Belastungen bei der Arbeit“. Damit ergeben sich für alle Arbeitgeber zusätzliche Pflichten, was den Umgang mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz der Mitarbeiter angeht- unabhängig von ihrer Betriebsgröße und bereits ab dem ersten Mitarbeitenden.

So besagt § 5 Abs. 3.1 – 3.6 des ArbSchG, dass mögliche Gefährdungen, die sich beispielsweise durch die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitszeiten und deren Zusammenwirken sowie durch unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten ergeben können – -also psychischen Belastungen bei der Arbeit – -beurteilt, erforderliche Maßnahmen festgelegt sowie deren Wirksamkeit überprüft werden müssen.

Aufgrund der Vielfältigkeit von Tätigkeiten trifft das ArbSchG keine genauen Festlegungen zu Art und Weise der Durchführung, sondern regelt in § 5 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG nur, dass der Arbeitgeber diese je nach Art der Tätigkeit durchzuführen hat. Die Methode zur Erhebung der psychischen Belastung ist ebenfalls gesetzlich nicht festgelegt. Orientierung bietet allerdings die Leitlinie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA),  ein Zusammenschluss von Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungsträgern, sowie Anforderungen der Norm DIN EN ISO 10075 1-3.

Zusammengefasst muss ein Arbeitgeber zweierlei Dinge tun:

  • die Gefährdungslage seiner Arbeitnehmer hinsichtlich psychischer Belastungen untersuchen und
  • auf erkannte Gefährdungen mit angemessenen Maßnahmen reagieren

Eine mangelhafte oder fehlende Durchführung kann rechtliche Konsequenzen haben, die nicht unterschätzt werden sollten. Je gründlicher ein Unternehmen dieser Verpflichtung nachkommt, je besser es seine Dokumentation vornimmt, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass es im Schadensfall in eine Mithaftung genommen wird.

Konsequenzen bei Nicht-Durchführung der Beurteilung psychischer Belastungen

An der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung (inklusive Psyche) führt kein Weg vorbei. Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.

Wird keine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen, ist dies zunächst nicht bußgeldbewährt. Lediglich ein Hinweis auf die Pflicht zur Vornahme erfolgt. Wird diesem wiederum nicht nachgegangen, kommt es zur Ahndung. Die Kontrolle der Arbeitsschutzmaßnahmen in den Betrieben ist eine hoheitliche Aufgabe, die von staatlichen Aufsichtsbehörden und den Unfallversicherungsträgern wahrgenommen wird.

Kurz: Gewerbeaufsichtsämter, Berufsgenossenschaften, Krankenversicherungen, der Inspektionsdienst Arbeitsschutz und Rentenversicherung prüfen in regelmäßigen Abständen die betriebliche Dokumentation der psychischen Gefährdungsbeurteilung.

Was passiert, wird die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nicht durchgeführt?

  • können Arbeitnehmer bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen ggf. Schadensersatz geltend machen und
  • der Arbeitgeber kann ggf. von der gesetzlichen Unfallversicherung in Regress genommen werden.
  • Zudem können Nachlässigkeiten bei Arbeitsgerichtsprozessen zu erheblichen Nachteilen für den Arbeitgeber führen.

Verletzt ein Arbeitgeber seine Schutzpflichten und kommt es zu einem Arbeitsunfall, kann der verletzte Mitarbeiter sogar Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen. Das kann grundsätzlich auch mit psychischen Erkrankungen,kausal verursacht durch „Stress am Arbeitsplatz“ (oder ähnliches) und Fehlen einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, geschehen.

Wie oft muss eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden?

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber zum Schutz seiner Beschäftigten vor Gefährdungen physischer wie auch psychischer Natur. Somit reicht es nicht aus, die psychische Gefährdungsbeurteilung einmalig durchzuführen. Der Arbeitgeber muss, die sich verändernden Arbeitsbedingungen regelmäßig im Blick haben. Die psychische Gefährdungsbeurteilung sollte immer aktuell sein, da sie die Grundlage für die erforderlichen Schutzmaßnahmen darstellt. Diese muss der Arbeitgeber regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen.

Der Betriebsrat hat bei der Regelung des Gesundheitsschutzes und der Unfallverhütung ein weitreichendes Mitspracherecht. Hierzu gehört auch die Mitgestaltung der Art und Weise der Gefährdungsbeurteilung (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) bzw. der

Festlegung von Verfahrensweisen. Der Betriebsrat ist selbst dann zu beteiligen, wenn keine konkrete Gesundheitsgefährdung feststellbar ist und die vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen lediglich mittelbar dem Gesundheitsschutz dienen. Als Faustformel gilt, dass der Betriebsrat immer dann ein Mitbestimmungsrecht hat, wenn eine Arbeitsschutzvorschrift des Gesetzgebers im Betrieb implementiert wird, die keine konkreten Anweisungen zur Umsetzung enthält.

Die Einbeziehung weiterer betriebsinterner Interessenvertretungen ist im Zuge der Bildung eines paritätischen Steuerungskreises sinnvoll. Nicht immer ist der Betriebsarzt der geeignete Ansprechpartner für die Umsetzung der Analyse psychischer Belastungen am Arbeitsplatz: In der Methodik und in der Ableitung von Handlungsempfehlungen gehen die Anforderungen weit über die körperlich-medizinische Dimension hinaus und setzen Kenntnisse in Statistik, Erfahrung mit Führungsverantwortung und organisationspsychologisches Rüstzeug voraus. Idealerweise wird daher eine solche Analyse von einem Dienstleister durchgeführt, der im Gesamtprozess eng mit dem Betriebsarzt zusammenarbeitet.

Die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärztin bzw. der Betriebsarzt haben nach dem Arbeitssicherheitsgesetz die Arbeitgeberin bzw. den Arbeitgeber u.a. bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu unterstützen und zu beraten. Die Arbeitgeberinbzw. der Arbeitgeber trägt jedoch die Verantwortung für die Organisation und Umsetzung
des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung.
Rechtsgrundlage: § 3 ASiG, § 6 ASiG, DGUV Vorschrift 2 und Anlagen

Beck und Lenhardt (2019) ermittelten in einer repräsentativen Befragung bei deutschen Unternehmen, dass nur 21 % der Betriebe die psychischen Gefährdungen in ihrer Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen. Im internationalen Vergleich liegt die Umsetzungsrate in Deutschland lediglich im unteren Mittelfeld (DGPPN-Studie, Hofmann 2018). Das BAuA-Projekt „Psychische Belastung in der betrieblichen Praxis“ (Lenhardt, 2017) zeigt auf, dass die Ursachen für die geringe flächendeckende Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in großen Handlungsunsicherheiten begründet liegen. Auch die Gefährdungsbarometer ®-Studie des EO-Instituts macht deutlich, dass mangelndes Wissen und Umsetzungsprobleme hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bestehen (EO-Institut 2015).

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Zum Nachlesen:

Beck, D. &Lenhardt, U. (2019) Consideration of psychosocial factors in workplace risk assessments: findings from a company survey in Germany. Int Arch Occup Environ Health 92(3):435–451

EO-Institut (2015) Gefährdungsbarometer®-Studie 2016 – Stand der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in der Praxis.

https://www.eo-institut.de/wp-content/uploads/2018/04/GB_ Studie_2016_EO-Institut.pdf.

Hofmann, M. (2018) Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber bezüglich psychischer Belastungen am Arbeitsplatz– Ein innereuropäischer Vergleich. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) – Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,Berlin.

Lenhardt,U. (2017) Psychische Belastung in der betrieblichen Praxis – Erfahrungen und Sichtweisen präventionsfachlicher Berater.Z Arb Wiss 71:6–13