Groupthink: Wie Sie Gruppendenken in Ihrem Arbeitsteam vermeiden

von Svenja Gimbel

„Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle Unrecht haben.“ von Bertrand Russel

Führungskräfte lieben Gruppenarbeiten und sind in den meisten Fällen auf der Suche nach „teamfähigen Mitarbeitern“. Natürlich steckt ganz viel implizite Gruppenentscheidung im kollaborativen Arbeiten. Gruppenentscheidungen haben viele Vorteile: Wissen, Erfahrungen und Informationsstände mehrerer Personen können zusammengeführt und genutzt werden. Konsens ist dabei wie in vielen Lebensbereichen ein erstrebenswertes Ziel. Er symbolisiert Harmonie, Übereinstimmung und gemeinsame Richtungen.

Bei zu viel Anpassung an die Mehrheitsmeinung kann es allerdings zu Groupthink oder Gruppendenken kommen. Dieses Phänomen führ dazu, das Arbeitsteams potenzielle Fallstricke übersehen und kluge Entscheidungen blockiert werden, da die Überprüfung von Alternativen ausbleibt. 

Was ist Groupthink?

Den Begriff Groupthink geprägt hat der US-amerikanische Sozial- und Forschungspsychologe Irving Janis. Er führte ihn im Jahr 1972 durch sein Buch “Victims of Groupthink” ein. Janis analysierte schlechte Entscheidungen der amerikanischen Außenpolitik (Pearl Harbour, Invasion in der Schweinebucht, Koreakrieg und Vietnamkrieg). Für eben diese machte er gruppendynamische Prozesse verantwortlich: Beteiligte hatten sich entgegen ihrer eigentlichen Auffassung der Meinung der Gruppe angeschlossen.

Psychology Today definiert Groupthink wie folgt:

„Gruppendenken tritt auf, wenn eine Gruppe gut gemeinter Menschen irrationale oder nicht optimale Entscheidungen trifft, die durch den Drang zur Anpassung oder die Entmutigung von Abweichen den Ansporn haben.“

Zwei Seiten des Zusammenhalts

Multiple Standpunkte erlauben vielfältigere und kritischere Prüfung von Optionen und können dadurch die Entscheidungsqualität als auch Kreativität erhöhen. Aber Teams treffen nicht automatisch bessere Entscheidungen als Einzelpersonen. Dass Menschen in Gruppen häufig von ihren individuellen Verhaltensmustern und ihrer inneren Überzeugung abweichen, ist relativ weitläufig bekannt. Gruppen agieren oft anders, als jeder einzelne Teilnehmende für sich selbst zu handeln pflegt.

Dieses Phänomen unterliegt zunächst einmal keiner Wertung und lässt sich nur anhand seiner Folgen beurteilen: Im Idealfall führt die Gruppendynamik zu Erfolgen, zu denen Einzelne nicht fähig wären. Zu häufig verhält es sich jedoch konträr: Durch Interaktionsmuster wie kollektivem Druck gehen wertvolle individuelle Impulse verloren, sie werden buchstäblich unterdrückt.

Fallstricke des Gruppendenkens verstehen

Groupthink ist ein psychologisches Phänomen, das in Gruppenentscheidungen auftritt, wenn der Wunsch nach Konformität und Harmonie innerhalb der Gruppe dazu führt, dass Mitglieder ihre kritische Denkfähigkeit unterdrücken, um eine einheitliche Meinung oder Lösung zu erreichen.

Im Unterschied zu Teamgeist ist Gruppendenken nicht unbedingt förderlich. Denn wenn stets einer Mehrheitsmeinung der Vorzug gegeben wird, besteht die Gefahr, dass die Suche nach neuen Ansätzen und das Diskutieren über andere Lösungswege zu kurz kommt.

Es verleitet uns dazu Informationen von außen herabzusetzen, gruppeninterne Inputs überzubewerten, das eigene Handeln stetig zu rechtfertigen und sprichwörtlich im eigenen Saft zu schmoren. Im schlimmsten Fall behindern wir damit die eigene Arbeit und behalten dysfunktionale Prozesse bei, die Andere für uns lösen könnten.

Das Phänomen zeigt sich oft dadurch, dass sich das Team nach außen hin geschlossen und zugleich optimistisch zeigt. Alle Teammitglieder vermitteln den Eindruck, dass sie uneingeschränkt hinter der Entscheidung stehen und stolz darauf sind, so schnell und ohne langwierige Diskussionen zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.

Nach innen ist die Harmonie aber oft nur dann gegeben, wenn es keinen Gegenwind gibt. Vertritt ein Teammitglied einen anderen Standpunkt und möchte es sich der Mehrheitsmeinung nicht anschließen, wird es ausgeschlossen oder nicht mehr ernst genommen.

Folgen von Groupthink im Überblick 

  • Geringere Qualität von Entscheidungen: Im Wesentlichen leiden die Beschlüsse unter Groupthink. So können durch dieses Phänomen zwar schnelle Entscheidungen entstehen, die aber häufiger nicht sehr gewinnbringend sind oder gar ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen.
  • Illusionen: Die Gruppe unterliegt der Vorstellung, alles richtig zu machen oder auch moralisch im Recht zu sein, obwohl dies nicht der Realität entspricht. Hierbei kann auch ein falsches Bild der Sicherheit entstehen: Die Beteiligten fühlen sich “unverletzlich”, obwohl sie gerade dazu beigetragen haben, einen ungünstigen und riskanten Weg zu gehen oder Chancen liegen zu lassen.
  • Zeit- und Ressourcenverschwendung: Mit Gruppendenken braucht es streng genommen keine Meetings: Da die Teilnehmenden sowieso nur eine gewisse Position widerspiegeln, hätte diese auch einfach autokratisch geltend gemacht werden können. Einerseits entstehen durch die verschwendete Zeit Ineffizienz und Opportunitätskosten, andererseits werden möglicherweise Ressourcen verbraucht, die man sich hätte sparen können.
  • Meeting Fatigue: Groupthink führt zu unproduktiven Meetings, was die Teilnehmenden aus erster Hand mitbekommen. Ohne einen echten Diskurs und sinnvolle Dialoge geraten Meetings zu einer zähen Beschäftigung, was Erschöpfung nach sich zieht. Um lebhaft und energetisierend zu sein, benötigen sie spannende Einwürfe und echte Initiativen.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Auswirkungen von Groupthink von der Intensität und Dauer abhängen können. Teams, die sich der Gefahren bewusst sind und bewusst gegensteuern, können die negativen Folgen minimieren.

Was sind die Ursachen für Groupthink?

Gruppendenken ist nicht auf eine eindeutige Ursache zurückzuführen. Doch es gibt Umstände, die das Auftreten wahrscheinlicher machen. Die Ursachen von Gruppendenken zu kennen, liefert ein gutes Verständnis für suboptimale und potenziell verheerende Dynamiken im Berufsleben: 

  • Die Leistungsfähigkeit der Gruppe wird überschätzt, sowohl vonseiten der Mitglieder als auch vonseiten Dritter.
  • Termine und Fristen werden zu kurzfristig geplant.
  • Das Team steht unter einem hohen zeitlichen Druck.
  • Die Teammitglieder arbeiten schon lange zusammen.
  • Sie teilen fachliche Ansichten und nutzen dieselben Methoden.
  • Es besteht ein starkes Harmoniebedürfnis.
  • Teammitglieder haben – berechtigt oder unberechtigt – Angst vor Ablehnung oder Ausgrenzung.
  • Der Wunsch nach Zugehörigkeit und Akzeptanz ist stärker als der Wille, zum richtigen oder zum besten Ergebnis zu gelangen.

Janis selbst teilt weitere einzelnen Faktoren, die Gruppendenken beeinflussen, in die Bereiche Haltung, Entscheidungsstrukturen und psychologische Mechanismen ein.

  • Starke Gruppennormen, die auf Gleich- und Einförmigkeit zielen
  • Richtig-/Falsch-Denken
  • Besser-/als-Denken
  • Vorverurteilungen
  • Bewertungen
  • Stereotype
  • Ideologie
  • Eigeninteressen
  • Fehlende Kompetenz
  • Machtgefälle in der Gruppe
  • Ein ähnlicher sozialer und persönlicher Hintergrund
  • Zu hohe Machtdistanz
  • Unterkomplexe Entscheidungstechniken (z.B. Veto bei einer komplexen Wissensentscheidung)
  • Keine Trennung von Information- und Entscheidungsprozess
  • Nichtgeteiltes Wissen wird nicht sichtbar gemacht
  • Unterschiedliche Redeanteile
  • Zu wenig Zeit zur Vorbereitung eigener Positionen
  • Niedriger Selbstwert durch vergangene Misserfolge
  • Tendenz zu Extremen (Entscheidungen werden extremer gefällt als bei einer Einzelbefragung)
  • Psychologische Kaskadeneffekte: Einer sagt zuerst was, die anderen legen die bisherigen Bedenken ad acta, „der wird schon recht haben.“

10 Tipps für Führungskräfte, um schlechte Entscheidungen im Team zu vermeiden

Um Fehlentscheidungen zu minimieren und dem Groupthink-Phänomen zu entgehen, sollen die Gruppenmitglieder einerseits ihr unabhängiges Denken bewahren und andererseits tatsächlich auch alle Ideen und alternativen Aspekte in den Gruppenprozess einbringen. Leichter gesagt als getan!

1. Confirmation bias vermeiden:

Prüfen Sie alle Unstimmigkeiten, Fehler und Widersprüche, die Ihrer Lösung entgegenstehen und tauchen Sie hier in einen Reflexionsprozess ein. Es bringt Ihnen gar nichts, sich die eigene Lösung schön zu reden, weil man vermeintlich lange darüber nachgedacht hat oder weil sie sich wie der „stimmigste Kompromiss“ anfühlt. Gut heißt nicht gleichzeitig richtig, seien Sie hier also vor allem ehrlich zu sich selbst und Ihren Mitarbeitenden.

2. Konsens als Teil, nicht als Ziel der Kommunikation:

Um die negativen Auswirkungen des Strebens nach Konsens zu vermeiden, sollte der Fokus auf offener, ehrlicher Kommunikation liegen, in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit geschätzt werden. Konsens sollte nicht das primäre Ziel sein, sondern ein möglicher Ausgangspunkt, der sich aus einer gründlichen und vielschichtigen Diskussion ergeben kann.

3. Delegieren Sie kritische Rollen:

Delegieren Sie kritische Rollen bei Entscheidungsprozessen an Teammitglieder, um sicherzustellen, dass nicht alle Ideen von einer einzigen Person stammen.

4. Schaffen Sie klare Entscheidungsprozesse:

Etablieren Sie transparente Entscheidungsprozesse, um sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen berücksichtigt werden und dass Entscheidungen nicht aufgrund von Zeitdruck oder unklaren Verfahren getroffen werden.

5. Externe Perspektiven einholen:

Suchen Sie externe Meinungen oder Expertenrat, um sicherzustellen, dass Ihre Entscheidungen nicht von internen Gruppendynamiken beeinflusst werden.

6. Implementieren Sie regelmäßige Reflexionen:

Führen Sie regelmäßige Reflexionssitzungen durch, in denen Teammitglieder die Entscheidungsprozesse und Ergebnisse kritisch bewerten und Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren können.

7. Einrichtung von Ideen-Pools:

Richten Sie Plattformen ein, auf denen Sie als Führungskraft und Ihre Mitarbeitenden Ideen sammeln und teilen können, um verschiedene Perspektiven zu integrieren.

8. Vermeiden Sie übermäßigen Zusammenhalt:

Achten Sie darauf, dass Teamzusammenhalt nicht zu einer Abneigung gegen abweichende Meinungen führt. Betonen Sie, dass konstruktiver Konflikt positiv für die Entscheidungsqualität sein kann.

9. Entwickeln Sie einen Kultur des Respekts:

Schaffen Sie eine Kultur des Respekts, in der jede Meinung geschätzt wird, unabhängig von Hierarchie oder Position in der Organisation.

10. Führen Sie anonymes Feedback ein:

Implementieren Sie Mechanismen für anonymes Feedback, um sicherzustellen, dass Teammitglieder ihre Meinungen ohne Furcht vor möglichen Konsequenzen äußern können.

Fazit:

Der Übergang ist fließend: In gesunden Teams ist ein gesundes Maß an Gruppenkohäsion gegeben, welches ein sinnvolles, gemeinsames Arbeiten ermöglicht. Stellt man den Wunsch nach Gruppenkohäsion jedoch zu stark in den Vordergrund, kann das schnell ins Gegenteil umschlagen – man erhält ein Übermaß an Gruppenkohäsion, welches zu falschen Entscheidungen und letztlich schlechteren Ergebnissen führt.

Ein Arbeitsteam, das Gruppendenken überwinden kann, ist besser gerüstet für die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt. Indem Sie die Dynamik des Gruppendenkens verstehen und gezielte Maßnahmen ergreifen, können Teams eine Umgebung schaffen, in der Kreativität und innovative Ideen gedeihen können. Gehen Sie als Führungskraft mit bestem Beispiel voran und hinterfragen Sie auch einmal ganz offen im Team Ihre persönliche Meinung. Fördern Sie Querdenker und achten Sie auf Ihre Worte, wenn Mitarbeiter berechtigte Zweifel anbringen.

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Zum Nachlesen:

Irving Janis (1972),Victims of Groupthink: A Psychological Study of Foreign-policy Decisions and Fiascoes