Gesundheitsbedingte Produktivitätsverluste.
Wer fehlt kann nicht arbeiten. Aber ist die Leistung aller Anwesenden immer 100 Prozent? Was ist, wenn jemand mit Beschwerden zur Arbeit kommt? Was ist in der übrigen Zeit, wenn die Arbeits- und Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist? Unsere neue Kennziffer bringt das auf einen Punkt: verlorene Tage Produktivität je Mitarbeiter und Jahr.
Das Jahr 2013 war für uns ein besonderes Jahr: Gleich drei Unternehmen, ein großer deutscher Softwarekonzern, ein Automobilhersteller und ein Pharma-Unternehmen fragten uns an, ob es nicht eine bessere Methode gäbe, die gesundheitsbedingte Produktivität zu messen, als allein die Fehlzeiten zu analysieren. Die Anfrage bezog sich darauf, dass gerade bei nicht körperlicher Tätigkeit manche Beschäftigte mit Beschwerden zur Arbeit kommen, etwa einer Depression, und gar nicht ihre volle Leistung erbringen. Die Fehlzeitenanalyse verpasst all diese Einschränkungen bei Anwesenden. Dazu weiß jede Vorgesetzte aus der eigenen Erfahrung und Anschauung, dass sich die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter nicht nur unterscheiden kann, sondern auch im Jahresverlauf schwanken. Wie könnte man dieses Phänomen mit den tatsächlich beobachteten Fehlzeiten in einer einfachen und verständlichen Kennziffer zusammenbringen?
Wie immer bei solchen Anfragen lohnt sich der Blick in die Literatur und die Nachfrage bei amerikanischen Wissenschaftlern. Denn dort werden oft die krankheitsbedingten Fehlzeiten vom individuellen Urlaubsanspruch abgezogen und Beschäftige kommen noch häufiger mit gesundheitlichen Einschränkungen zur Arbeit als bei uns. Das Phänomen ist dort als Präsentismus bekannt und gut erforscht. Die Amerikaner haben auch einige Instrumente entwickelt, diese gesundheitsbezogenen Produktivitätseinschränkungen zu schätzen. Das geht noch vergleichsweise gut für die wenigen Tage, an denen Beschäftigte mit starken Beschwerden zur Arbeit kommen. Wie aber ist es mit den sehr viel häufigeren Arbeitstagen, an denen Krankheitszeichen nicht im Vordergrund stehen, aber die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist? Auch das muss in die Bewertung eingehen.
Der Schlüssel dazu war das Konzept der Arbeitsfähigkeit, welches in Europa der in Finnland entwickelte Work Ability Index weit verbreitet ist. Forscher aus den Niederlanden konnten zeigen, dass Beschäftigte mit schlechten Werten im WAI ein bis zu zehnmal höheres Risiko aufweisen, in den folgenden zwei Jahren Langzeit zu erkranken und ein Fall für das betriebliche Eingliederungsmanagement zu werden, als Beschäftigte mit sehr gutem WAI.
Könnte man also irgendwie den WAI mit Präsentismus und Fehltagen zu einer Ziffer verbinden? Das funktioniert nicht, schert man alle Beschäftigte unabhängig von Alter, Geschlecht oder Tätigkeit (überwiegend manuelle Arbeit vs. überwiegend geistige Arbeit) über einen Kamm. aber es funktioniert vorzüglich, wenn man zuvor den Erwartungswert einer gesunden Person unter guten Arbeitsbedingungen nach Alter, Geschlecht und Tätigkeit bestimmt. Der individuelle Unterschied zu diesem Erwartungswert kombiniert mit der eigenen Aussage über Einschränkungen während Anwesenheit bei der Arbeit mit Krankheitszeichen sowie den Fehltagen ergibt eine Kennziffer, die sogenannten gesundheitsbedingten Produktivitätsverluste. Diese Kennziffer erlaubt ganz unterschiedliche Abteilungen zu vergleichen, sowie der standardisierte durchschnittliche Kraftstoffverbrauch oder die standardisierte Reichweite bei Elektrofahrzeugen die Effizienz vergleichbar macht.